Statement – Das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) der TU Dortmund zeigt auf: Der Sonderbericht mit Ergebnissen auf Basis von repräsentativen Daten von rund 4.600 Viertklässler/-innen in Deutschland stellt substanzielle Unterschiede im Wortschatz – einer der Säulen von Sprachkompetenz – zwischen Schüler/-innen fest, die systematisch mit dem familiären Hintergrund zusammenhängen. Das Forscherteam stellt heraus, dass Sprachkompetenz wichtig für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen ist.
Das Ergebnis bestätigt die Mehrheitsmeinung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in einer repräsentativen Forsa-Befragung zum Tag der Bildung 2022 erhoben wurde. In der Befragung äußerten die 14- bis 21-Jährigen ihre Meinungen und Einschätzungen zu Bildungschancen, Zukunftsperspektiven und guter Bildung in schwierigen Zeiten. Seit Beginn der jährlich durchgeführten Erhebung im Jahr 2015 zeichnet sich ein deutlicher Negativtrend ab: Die Jugendlichen bewerten die Bildungschancen in Deutschland von Jahr zu Jahr schlechter. In diesem Jahr erreicht dieser Wert einen neuen Tiefpunkt. Nur ein knappes Drittel (32 Prozent) der Befragten ist der Ansicht, dass alle Kinder in Deutschland größtenteils unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. Eine Mehrheit von 64 Prozent ist dagegen nicht der Meinung, dass in Deutschland gleiche Bildungschancen für alle Kinder bestehen.
Statement: Dr. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen
„Kinder und Jugendliche verstehen die Bildungssituation scheinbar besser als manche Politiker/-innen: Die Herkunft entscheidet hierzulande immer noch maßgeblich über den Schulerfolg und damit den weiteren Lebensweg. Das zeigen uns seit Jahren zahlreiche Studien und wird auch heute wieder von den Ergebnissen der TU Dortmund bestätigt. Auch dieser Bericht zeigt auf, dass der Wortschatz als Teil von Sprachkompetenz systematisch mit dem familiären Hintergrund zusammenhängt. Damit alle Kinder gleichberechtigt den Zugang zu Bildung haben, brauchen sie gezielte Unterstützung beim Erlernen sprachlicher Kompetenzen. Was Sie konkret tun können? Starten Sie mit Vorlesen! Ihren Kindern, Neffen, Nichten, den Kita- oder Grundschulkindern in der Nachbarschaft. Denn das ist der erste Schritt, um selbst gut Lesen zu lernen. Und das ist die Schlüsselkompetenz für einen erfolgreichen Bildungsweg und der erste Schritt aus unserer Bildungskrise.“
Deswegen ist Lesen der Schlüssel
Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien und Elternhäusern mit einem geringen Bildungsgrad sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt und sind bereits benachteiligt, bevor sie in die Schule kommen. Denn Eltern mit geringerer Schulbildung lesen ihren Kindern nachweislich weniger vor. Damit fehlt ihnen der wichtigste Baustein, selbst gut Lesen zu lernen. Aber eines ist mittlerweile klar: Lesen ist die Schlüsselkompetenz für einen erfolgreichen Bildungsweg. Mangelnde Lesekompetenzen haben fatale Auswirkungen auf den weiteren Bildungsverlauf dieser Kinder: Jedes 5. Kind in Deutschland kann laut dem IQB-Bildungstrend 2021 nach Abschluss der 4. Klasse nicht ausreichend lesen. Ein Trend, der sich in höherem Alter fortsetzt: mit 15 Jahren verfügen laut der aktuellen PISA-Studie von 2018 immer noch 21 Prozent der Jugendlichen nicht über Basiskompetenzen im Lesen undSchreiben. Schon 2016 zeigten die Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) auf, dass die Bildungsvoraussetzungen im Elternhaus den größten Einfluss auf Lesekompetenz und Lesemotivation haben. Der Förderbedarf beim Erwerb und Ausbau des Wortschatzes ist nach Aussage des aktuellen Sonderberichts der TU Dortmund besonders groß bei Kindern, die nie oder nur selten Bücher lesen, selbst nicht in Deutschland geboren sind und deren Eltern einen eher niedrigen Bildungsabschluss haben. Für bessere Bildungschancen setzt sich auch der 2021 ins Leben gerufene nationale Lesepakt ein: Die Allianz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, für alle die gleichen Startmöglichkeiten zu schaffen und damit endlich für echte Chancengerechtigkeit zu sorgen.