Buchgeschenke in Kinder- und Jugendarztpraxen: Warum sie wichtig sind und was sie bringen

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Nebeneinander sind von links nach rechts das Buchcover für Einjährige, die Lesetasche sowie der Flyer für Eltern mit Tipps zum Vorlesen abgebildet

© Stiftung Lesen/BMBF/Stefan Zahm

Themenmeldung - Wenn Eltern ihren Kindern vorlesen oder mit ihnen sprechen, schenken sie ihnen Aufmerksamkeit und fördern sie zugleich. Denn: Vorlesen ist eine wahre Superkraft! Es unterstützt die sprachliche Entwicklung, regt die Fantasie an und kann Ruhe in den stressigen Alltag bringen. Damit möglichst viele Eltern ihren kleinen Kindern vorlesen können, gibt es bundesweit in teilnehmenden Kinder- und Jugendarztpraxen Lesestart-Sets für ein- und zweijährige Kinder. Worum es bei Lesestart 1–2–3 geht und wieso das Thema gerade in der Kinder- und Jugendarztpraxis so wichtig ist, erklären Angela Schütze-Buchholz, Vizepräsidentin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. (BVKJ), und Sabine Bonewitz, Leiterin des Lesestart-Programms bei der Stiftung Lesen.

Die Lesestart-Sets sind kleine Stofftaschen mit Bilderbüchern und mehrsprachigen Informationen für Eltern. Familien können die Sets bei der U6- und U7-Vorsorge erhalten, wenn ihr Kind ein bzw. zwei Jahre alt ist. Die Stiftung Lesen aus Mainz führt das Programm durch. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Mit der Weitergabe der Buchgeschenke unterstützen bundesweit etwa 6.000 Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte das Programm. Sets für Kinder ab drei Jahren gibt es in rund 5.000 teilnehmenden Bibliotheken.

Aus welchem Grund unterstützt der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. das Lesestart-Programm?

Angela Schütze-Buchholz: Sehr viele Kolleginnen und Kollegen schätzen das Programm. Es bietet ihnen die Möglichkeit, mit einem gut ausgestatteten Paket Informationen an Eltern weiterzugeben. Sowohl für die Ärztinnen und Ärzte als auch für die Eltern sind die Lesestart-Sets kostenlos. Der Bezug über die Stiftung Lesen ist unkompliziert. Die Information vor Ort und die Weitergabe des Lesematerials sind eine wirksame Maßnahme, um auf diese Förderung hinzuweisen. Alleine der Hinweis: „Lesen Sie vor!“ bringt die Eltern noch nicht in den Buchhandel oder die Bibliotheken. Mit den ersten Bilderbüchern werden die Interessen der Kinder geweckt und sie selbst fordern die Weiterführung des Begonnenen ein. Wir legen mit diesem Projekt einen Keimling, der wachsen und zu einer großen Blume werden kann.

Wieso werden die Lesestart-Sets 1 und 2 über Kinder- und Jugendarztpraxen an Familien weitergegeben?

Sabine Bonewitz: Rund 95 Prozent aller Eltern nehmen die Vorsorgetermine in ihrer Kinderarztpraxis wahr. Somit sind die Kinder- und Jugendärzte wichtige Partner, um möglichst viele Eltern mit Kleinkindern zu erreichen, auch besonders die, bei denen Vorlesen bislang keine große Rolle spielt. Aus Studienergebnissen der letzten Jahre wissen wir, dass rund 37 % der Eltern von 1- bis 8-jährigen Kindern kaum oder gar nicht vorlesen. Da wollen wir ansetzen und möglichst unkomplizierte, leicht umsetzbare Tipps zum Thema „Vorlesen“ an die Eltern vermitteln. Dazu wissen wir aus der jährlich erscheinenden Vorlesestudie von DIE ZEIT, Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung – dem Vorlesemonitor – dass wir mit Buchgeschenken vor allem die Familien erfolgreich motivieren können, in denen derzeit noch nicht vorgelesen wird.

Angela Schütze-Buchholz: Kinder werden von Geburt an bis zur Volljährigkeit von Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten betreut. Junge Familien sind regelmäßig zu Vorsorgeuntersuchungen in den Praxen. Die Ärztinnen und Ärzte genießen ein hohes Vertrauen und werden zu vielen – nicht nur medizinischen Themen – von Eltern befragt. Hier bietet sich die gute Gelegenheit, Eltern auf die Wichtigkeit von Sprache, von Vorlesen hinzuweisen. Die Lesestart-Sets sind dazu bestens geeignet.

Kinder mit einem und zwei Jahren sind ja noch sehr klein, sitzen beim Vorlesen vielleicht nicht still oder hören nicht zu. Warum werden die Sets so früh ausgegeben?

Angela Schütze-Buchholz: Sprachförderung beginnt mit dem Beginn des Lebens. Viele Mütter und Väter reden mit dem ungeborenen Kind. Nach der Geburt findet die Kommunikation unmittelbar mit dem Neugeborenen statt. Das Glück und die Freude über das Kind wird direkt mit ihm geteilt, ebenso wie Kummer und Sorgen laut geäußert werden. Daher ist die Ausgabe der Lesestart-Sets eine wichtige Fortsetzung einer begonnenen Kommunikation mit einem besonderen Blick auf das Vorlesen. Zumal die Bücher dem Alter und der Aufmerksamkeitsspanne entsprechend gestaltet sind.

Sabine Bonewitz: Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass das Anschauen von Bilderbüchern sich schon ganz früh, positiv auf die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten der Kinder auswirkt. Die Kinder nehmen sie mit allen Sinnen wahr – sie wollen die kleinen Bücher aus dicker Pappe im wahrsten Sinn des Wortes begreifen, in den Mund nehmen, mit ihnen spielen. Da geht es gar nicht darum, einer Geschichte von Anfang an zu folgen oder die Seiten in der richtigen Reihenfolge durchzublättern. Bilderbücher für die Jüngsten schaffen zuerst einmal Gesprächsanlässe für Eltern und ihre Kinder. Das, was ihnen im kindlichen Alltag begegnet, können sie in den Bilderbüchern nacherleben. Mit der Zeit können sie immer mehr den kleinen Erzählungen folgen und lernen auf diese Weise viele neue Wörter. Diese bilden die Basis für eine erfolgreiche sprachliche Entwicklung.

Ist es wichtig, dass Eltern auf Deutsch vorlesen und erzählen? Worauf sollten Eltern bei der Wahl eines Buches für kleine Kinder im Alter von einem bis drei Jahren achten?

Sabine Bonewitz: Beim Vorlesen ist es am besten, wenn die Eltern in der Sprache „ihres Herzens“ vorlesen – also in der Sprache, in der sie sich am wohlsten fühlen. Das kann, muss aber nicht die deutsche Sprache sein. Aus dem Vorlesemonitor wissen wir ebenfalls, dass viele Eltern die Befürchtung haben, sie würden zu schlecht vorlesen. Sie scheuen sich davor, zu stark schauspielern zu müssen. Aber darum geht es gar nicht: Für ein kleines Kind gibt es nichts Schöneres, als die vertraute Stimme von Mama und Papa zu hören.

So wie ein Kind durch regelmäßiges Vorlesen Freude am (späteren) Selbstlesen entwickelt, bekommen auch die Eltern immer mehr Übung im Vorlesen. Dabei geht es nicht darum, eine Geschichte möglichst dramatisch vorzutragen. Es geht darum, dem Kind Aufmerksamkeit zu schenken und ihm so zu zeigen, wie toll Bücher und Geschichten sein können.

Angela Schütze-Buchholz: Eltern sollen die ihnen vertraute Sprache nutzen. Die Sprache des Landes, in dem die Kinder leben, erlernen sie spielend während der Kindergartenzeit und im sozialen Umfeld. Bei zweisprachig aufwachsenden Kindern ist das Erlernen der Mutter- und Vatersprache kein Problem und die deutsche Sprache, wenn sie nicht eine von beiden ist, wird ebenso schnell gelernt. Wir wissen, dass Entwicklungsstörungen der Sprache in jeder Sprache der Welt vorkommen und sich entsprechend bemerkbar machen. So können nicht Deutsch sprechende Eltern sehr schnell Auffälligkeiten bei ihren Kindern entdecken und benennen. Glücklicherweise gibt es eine riesige Auswahl an Büchern für jedes Lebensalter. Hilfreich zur Orientierung sind die Alterskennzeichnungen, aber auch die Vorlieben des Kindes. So interessiert sich das eine Kind mehr für Tiere und das andere mehr für Fahrzeuge – auch schon im Alter von 1 Jahr. Die Interessen des Kindes zu berücksichtigen und es mitbestimmen zu lassen, halte ich für eines der Rechte von Kindern.

Was würden Sie Eltern gern mit auf den Weg geben?

Angela Schütze-Buchholz: Lesen und Zuhören bedeuten viel mehr als Information durch Worte. Es ist gemeinsam verbrachte Zeit, Nähe und Austausch miteinander in einem Tempo, das anders als bei audiovisuellen Medien individuell bestimmt wird. Es sind Ausflüge in ferne und fremde Welten. Es sind Reisen in die Vergangenheit und in die Zukunft. Es ist die Auseinandersetzung mit alltäglichen Fragen, die viele andere Menschen auch beschäftigen. Es macht Spaß und bringt Entspannung. Lesen ist wie Nahrung, die wir täglich benötigen.

Sabine Bonewitz: Wir wollen Eltern zeigen, dass Vorlesen keine besondere Inszenierung und keinen großen Zeitaufwand braucht, sondern dass das ganz flexibel in den Alltag eingebaut werden kann. Egal, ob man an der Bushaltestelle steht, beim Arzt im Wartezimmer sitzt oder die Zeit überbrückt, bis das Essen fertig ist. Ein paar Minuten zusammen in eine Geschichte abtauchen, macht Spaß und fördert Kinder in ihrer ganzheitlichen Entwicklung. Die große Vision der Stiftung Lesen ist, dass alle Menschen lesen können. Dafür ist es natürlich am besten, schon bei den Jüngsten anzusetzen und ihr Interesse und die Freude daran zu wecken. Dafür brauchen sie die Hilfe und Unterstützung ihrer Eltern. Wenn es uns gelingt, dass das Vorlesen ganz selbstverständlich im Alltag von Familien eingebettet ist, kommen wir diesem Ziel ein großes Stück näher.

Über das Programm Lesestart 1-2-3
„Lesestart 1–2–3“ ist ein bundesweites Programm zur frühen Sprach- und Leseförderung. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und von der Stiftung Lesen durchgeführt. In drei aufeinander folgenden Jahren erhalten Eltern für ihre Kinder im Alter von einem, zwei und drei Jahren Lesestart-Sets. Die ersten beiden Sets können sie in teilnehmenden Kinderarztpraxen bekommen, das dritte Set in der Bücherei vor Ort. Zu allen drei Sets gehören ein altersgerechtes Bilderbuch, Informationen für die Eltern mit Alltagstipps zum Vorlesen und Erzählen und eine kleine Stofftasche. Weitere Informationen finden Eltern und Interessierte unter www.lesestart.de.

Kontakt

Laura Trost

Leiterin Marketing und Kommunikation

Tel.: 06131-28890-69

laura.trost@stiftunglesen.de

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